Geschichte Preußens by Wienfort Monika

Geschichte Preußens by Wienfort Monika

Autor:Wienfort, Monika [Wienfort, Monika]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406676291
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2015-09-18T16:00:00+00:00


IV. Vom Agrarstaat zur «Klassischen Moderne»

1850–1918

1. Nationale Politik und preußische Kultur

Das Programm der Revolution von 1848, das den Deutschen nationale Einheit und konstitutionell garantierte Freiheit bringen sollte, war gescheitert. Dennoch sind die revolutionären Ereignisse nicht folgenlos geblieben. Politische Bestrebungen, aber auch soziale und wirtschaftliche Entwicklungen haben Preußen im Innern schon Jahrzehnte vor 1870 in die Moderne katapultiert, deren Dynamik mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs nach außen unübersehbar wurde. Das nachrevolutionäre Jahrzehnt ist vielfach als Reaktionszeit, als Zeit der tiefen Enttäuschung der liberalen und demokratischen Hoffnungen, beschrieben worden. Sichtbarsten Ausdruck fand diese Zurückweisung demokratischer Verfassungsvorstellungen im politischen System: Zwar erhielt Preußen eine Verfassung und ein Abgeordnetenhaus, in dem die in der Revolution entstandenen politischen Parteien konservativer und liberaler Couleur vor allem über das Recht, den Haushalt zu beschließen, Einfluss auf die Regierungspolitik nehmen konnten. Dem König aber blieben die Exekutive, der Oberbefehl über das Militär und die Außenpolitik. Zur Bastion der Königstreuen, der Anhänger eines starken Staates und weniger ständischer Konservativer entwickelte sich die Erste Kammer, das Herrenhaus, das vom preußischen Landadel mit teilweise erblichen Sitzen und von Ernennungen des Königs dominiert wurde. Die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses ergab sich dagegen auf der Grundlage des Dreiklassenwahlrechts, das sich als Korrektur des in der Revolution errungenen allgemeinen Männerwahlrechtes verstand. Die Wählerschaft wurde nach Steuerleistung in drei Gruppen aufgeteilt, so dass die wenigen Stimmen der Wähler der ersten Klasse größeres Gewicht erhielten als die Stimmen der Mehrheit der Wähler, die in der dritten Klasse wählten. Die traditionellen, adligen Eliten dominierten Preußens politische Welt am Hof und im Herrenhaus, aber in dem Maße, in dem die Industrialisierung bürgerlichen Wohlstand entstehen ließ, traten im Abgeordnetenhaus, vor allem bei den gemäßigten Liberalen und in der Fortschrittspartei, Unternehmer, Bankiers und Kaufleute hinzu.

Mit dem Thronwechsel 1861, der den Bruder Friedrich Wilhelms IV., Wilhelm I., an die Regierung brachte, erhoffte sich der bürgerliche Liberalismus um Hermann Schulze-Delitzsch, den Gründer der Genossenschaften in Deutschland, den Juristen und späteren Oberbürgermeister von Berlin Max Forckenbeck und den Unternehmer Werner v. Siemens (geadelt 1888) eine «Neue Ära» der Veränderungen. Stattdessen trat eine Verfassungskrise ein, die bis 1866 dauerte und den Kern des preußischen Staatsverständnisses unter konstitutionellen Verhältnissen, nämlich die Abgrenzung der Kompetenzen des Monarchen von denen des Parlaments, betraf. Der Gegenstand des Streites, die Forderung nach einer Reform der Heeresorganisation, dem Ausbau des Heeres und einer Stärkung der militärischen Schlagkraft, war dabei noch nicht einmal generell umstritten. Liberale und Konservative befürworteten angesichts der Entwicklung der internationalen Beziehungen eine Vermehrung der Truppen. Der Krimkrieg, in dem Preußen als einzige europäische Macht neutral geblieben war, hatte nach Ansicht der Führungsschichten gerade deutlich gemacht, wie sehr Preußens Stellung in Europa von seiner militärischen Stärke abhing. Umgekehrt zeigte die Kraftprobe zwischen Regierung und Abgeordnetenhaus, wie zentral des Selbstverständnis des Staates von der Definition der Rolle des Militärs geprägt war. Die Vorschläge, die die Regierung vorlegte – Verlängerung der Dienstzeit der Wehrpflichtigen, Stärkung der Kommandeursgewalt und Minderung der Mitspracherechte des Abgeordnetenhauses –, stießen bei der liberalen Kammermehrheit auf Ablehnung. Während der König und seine Regierung auf der Prärogative



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